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Wer extra zahlt, kommt früher unters Messer

Werden reiche Patienten bevorzugt? Kritiker wittern verbreitete Korruption in heimischen Spitälern

Herr G. benötigt ein neues Hüftgelenk. Das öffentliche Wiener Spital, das die Behandlung vornimmt, will ihn aber zwei schmerzhafte Monate warten lassen. Zu lange für den gestressten, aber wohlhabenden Herren. Also wechseln 5000 Euro den Besitzer - und G. bekommt den Termin im selben Spital in zwei Wochen.

"Ein typischer Fall", sagt Gerald Bachinger: "Wer kennt diese Geschichten nicht?" Dem Patientenanwalt fällt für derartige Praktiken kein anderer Begriff als "Korruption" ein. Denn das Gesetz verbietet öffentlichen Krankenhäusern, (Einfluss-)Reiche zu bevorzugen. Auch wer eine private Zusatzversicherung abschließt, darf sich damit bestenfalls ein Luxuszimmer erkaufen sowie das Recht, sich den Arzt auszusuchen.

Soweit die Theorie. In der Praxis ködern Versicherungen Patienten aber mit der Aussicht auf raschere Behandlung. "OP-Termine sofort", plakatierte die Donau-Versicherung ungeniert. Leider kein leeres Versprechen, meint Bachinger und sieht "Anreize", Privatversicherte bei planbaren OPs zu bevorzugen. In sieben Ländern - ausgenommen Kärnten und Steiermark - bekommen Ärzte für Sonderklasse-Patienten direkte Extrahonorare ausbezahlt. Am meisten fällt für Primare ab: Laut Kalkulation des Ökonomen Ernest Pichlbauer kann das Zubrot das dreifache Grundgehalt betragen.

Ärztekammer spricht von "Einzelfällen"

Andere Möglichkeit: Ein Arzt lädt dazu ein, Vor- und Nachbehandlungen in der eigenen Privatordination vorzunehmen, was natürlich kostet. Im Gegenzug bekommt der Patient einen raschen Termin für die Operation, die dann im öffentlichen, aus Sozialversicherung und Steuergeld finanzierten Spital stattfindet. In der schnörkellosen Variante wandert einfach Geld in die Tasche des zuständigen Mediziners.

Lediglich "Einzelfälle", die man "nicht generalisieren" dürfe, wie Ärztekammer-Sprecher Martin Stickler meint? Es gibt Hinweise auf eine breitere Streuung. Der Verein für Konsumenteninformation schickte verdeckte Rechercheure aus: In fast einem Drittel der getesteten Spitalsambulanzen wurden den "Patienten" frühere Termine angeboten, nachdem diese auf ihre angebliche Zusatzversicherung verwiesen hatten.

Privatversicherte sind bis zu doppelt so schnell dran

Das Institut für Höhere Studien hat Patienten nach ihrer OP befragt. 15 Prozent hatten das Angebot erhalten, durch einen Besuch einer Privatordination einen früheren Termin zu bekommen, acht Prozent hätten ihre Wartezeit per privater Zahlung verkürzen können. Die Zahlen seien wegen des geringen Samples ungenau, sagt IHS-Experte Thomas Cypionka, doch an der Existenz derartiger Praktiken bestehe kein Zweifel.

Auch aus der Statistik filterte das IHS ein Indiz für "Zwei-Klassen-Medizin": Gewöhnliche Patienten warten 102 Tage auf eine Grauer-Star-OP, 78 Tage auf ein neues Hüftgelenk und 97 Tage auf ein Kniegelenk (Daten 2006). Privatversicherte kommen doppelt bis viermal so schnell dran. Allerdings lässt sich nicht herauslesen, wie viele davon ihre OP in einem öffentlichen Spital hatten.

Per Gesetz will Gesundheitsminister Alois Stöger (SPÖ) nun bundesweit transparente OP-Wartelisten vorschreiben, wie es sie in Wien schon gibt: "Die Ungerechtigkeiten gehören beseitigt."

(Quelle: Gerald John, DER STANDARD, Printausgabe, 4.3.2011)

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