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Manche wollen schon mit 40 nichts Neues mehr

Der Demograf und Leiter der Forschungsabteilung der Erste Bank, Rainer Münz, über die Folgen der Überalterung Österreichs.

Inwieweit verlieren alternde Gesellschaften an Dynamik?

Rainer Münz: Es gibt die Annahme, dass die Innovationsbereitschaft kleiner wird. Viele Wissenschaftler sind der Ansicht, eine alternde Gesellschaft stehe Innovationen weniger aufgeschlossen gegenüber und scheue das Risiko. Die Zahl derer, die mit frischem Wissen aus dem Bildungssystem auf den Arbeitsmarkt kommen, nimmt ab. Es gibt aber auch positive Effekte höherer Seniorität: Sie haben erfahrene Leute, die schon einiges erlebt haben, und die dann in einer Krise nicht so rasch in Panik verfallen.

Hat die Überalterung der Gesellschaft auch Auswirkungen auf die kollektive Stimmung in einer Gesellschaft? Wird so eine Gesellschaft träge?

Man kann dem Ganzen ja vorbeugen, indem man lebenslanges Lernen organisiert. Dann müssen die Betriebe dafür Sorge tragen, dass die älteren Belegschaften Innovation nicht ablehnen, sondern gut finden.

Sehen Sie diese Tendenz in Österreich?

Die Personalchefs beginnen sich Gedanken zu machen, das ist immerhin schon ein guter erster Schritt.

Wie kann man dieser Angst vor Veränderung begegnen?

Wenn eine Veränderung Zeit und Energie kostet, dann ist der Ertrag dieser Veränderung größer, wenn ich eine längere Lebenszeit vor mir habe. Niemand wird sich mit 75 gern in das Betriebssystem eines neuen Handys einarbeiten. Es gibt allerdings die Tendenz, dass Menschen schon mit 40 nicht mehr bereit sind, sich mit neuen Dingen zu beschäftigen. Dagegen muss man kämpfen.

Wie kann sich unsere Gesellschaft auf diese Veränderungen einstellen?

Das ist eine Frage der kollektiven Einstellung, auch der Vorbilder, der Anreizsysteme. Wenn wir länger arbeiten wollen und sollen, muss es auch mehr Fortbildung geben. Wenn sich Firmen und Betroffene denken, es ist zu teuer, in einen 47-Jährigen noch zwecks Fortbildung zu investieren, weil er oder sie in fünf bis sechs Jahren ohnehin weg ist, dann wird sich natürlich nicht viel bewegen. In einem auf Seniorität aufgebauten Lohnsystem werden ja die Leute immer teurer, aber nicht in gleichem Ausmaß produktiver.

Die Lebenserwartung steigt im Schnitt sechs Stunden am Tag, drei Monate im Jahr.

Es gibt auch viel mehr gesunde Menschen in höherem Alter als früher. Nachdem aber das Pensionsalter in den letzten 50 Jahren gesunken, die Lebenserwartung aber seit 150 Jahren gestiegen ist, haben wir ein Problem.

Menschen mit 50 Jahren sind heute wie 40-Jährige. Mit 60 sind sie wie 50, mit 70 wie 60. Ist doch schön, oder?

Natürlich. Die schwere körperliche Arbeit ist in unserer Gesellschaft zurückgegangen, die Ernährung ist besser. Von der demografischen Seite kommt Druck: Früher war es leicht, Belegschaften zu verjüngen, weil viele junge Menschen nachgekommen sind. Nun kommen Jahrgänge, in denen mehr Menschen in Pension gehen als auf den Arbeitsmarkt nachrücken. Da gibt es zwei Strategien. Erstens: qualifizierte Zuwanderungen. Zweitens: die Menschen länger im Erwerbsprozess zu halten. Die dritte wollen wir nicht: nämlich auf Wohlstand verzichten.

Und das bedeutet für die Firmen?

Das heißt für die Firmen, dass sie sich auf ältere Belegschaften einstellen müssen, dass sie also Leute nicht möglichst früh pensionieren oder „Golden Handshake“-Programme auflegen, sondern die Arbeitsfähigkeit und Arbeitskraft der Menschen erhalten. Dazu ist ein Anreizsystem bei den Pensionen notwendig. Es darf eben nicht ohne Auswirkung auf die Pension bleiben, ob man mit 55, 65, oder 75 in Pension geht. So wäre man ja blöd, wenn man länger arbeitet. Es braucht in den Betrieben natürlich eine Kultur der Weiterbildung. Diese wird auch kommen, wenn die Betriebe sehen, dass sie nicht einfach beliebig junge Leute rekrutieren können. Vielleicht gibt es da noch Einrichtungen, die diese Weiterbildung anbieten.

Wie stehen die Chancen auf Reformen?

Es wird immer schwieriger werden, die Pensionssysteme zu reformieren, wenn die Mehrheit der Wähler entweder bereits Pensionsbezieher ist, bald in Pension gehen wird oder sich im Kopf schon in Pension sieht.

(Quelle: "Die Presse", Print-Ausgabe, 17.10.2010)

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