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"LIFE" is Life?

Einfach unglaublich, wie ältere Mitarbeiter in der privatisierten ehemaligen Staatsindustrie behandelt werden. Noch können sie in die Frühpension flüchten

LIFE der Voestalpine ist eines der beeindruckendsten Mitarbeiterprogramme für eine attraktive Arbeitswelt. LIFE steht für "lebensfroh, ideenreich, fit, erfolgreich". LIFE will Arbeitsprozesse alter(n)sgerecht gestalten und mit Hilfe von Experten Belastungen verringern.

Es bemüht sich um die Bedürfnisse älterer MitarbeiterInnen, initiiert Erfahrungsweitergabe sowie Anerkennung und Wertschätzung erfahrener Kollegen. Es macht Angebote für gesunde Ernährung, Beratung bei Gewichtsproblemen, Bewegungs- und Schichttraining, gratis Fitness, Wirbelsäulengymnastik, Nordic Walking, körpergerechtes Arbeiten, alle Arten von Suchtprävention von Alkohol- bis Spiel- und PC-Sucht, Umgang mit belastenden Situationen wie Scheidung, Finanzproblemen, Stressmonitoring, Gesundheitsprognosen, umfassendstes Sicherheitsmanagement (Audits, Ereignisanalysen, Fahr-sicherheitstrainings, interaktive Unterweisungen, Erlebniskampagnen, Kurzfilme).

Die lebensbegleitende Weiterbildung ist vorbildlich: mindestens zwei Prozent der Jahresarbeitszeit für persönliche und fachliche Weiterentwicklung, Lernprojekte, Jobrotation, e-learning, Trainer-, Tutoren- und Moderationstätigkeiten, Seminare, Fachtagungen, Messen, Lehrgänge, Exkursionen, Fachliteratur, lebensphasenbezogenes Führen und Arbeitsplatzgestalten, Wissensstafetten zur Übergabe von Wissen bei Pensionierung.

In der Schwerindustrie werden ältere Mitarbeiter systematisch auf weniger belastenden Arbeitsplätzen eingesetzt: Elektriker auf Schaltwarte, Verschieber im Stellwerk, Schlosser auf Streckenwarte. Es gibt keine Altersdiskriminierung bei der Aufnahme: 40% der seit 2004 in Donawitz neu angestellten Mitarbeiterinnen waren älter als 40 Jahre.

Entsprechend gesunde Mitarbeiter, weniger Belastungen bei Schichtarbeit, weniger Unfälle durch flexiblere und arbeitnehmerfreundliche Arbeitszeitmodelle und ständige wachsende Arbeitszufriedenheit: von 67% im Jahr 2002 auf 83% (2004) und 89% (2007). Über 100 auch internationale Presseberichte, gutes Imageranking, vielfache Auszeichnungen: Nestor, Staatspreis "Newledge", Lafarge-Award, Minerva. Gibt es bessere, humanere und erfolgreichere Betriebe?

Als ich Claus Hödl, dem tatkräftigen und sympathischen "Vater" von LIFE gratulierte sagte er bescheiden und entwaffnend offen, von Erfolg könne man trotz aller Fortschritte und Auszeichnungen nicht reden, solange "kein einziger Voest-Arbeitnehmer auch nur einen einzigen Tag später in den (Vor)Ruhestand wechselt als zuvor ". Tatsächlich gibt es selbst bei Büroangestellten keine 10% der MitarbeiterInnen über 55 und keine 2% über 60 Jahren.

Auf allgemein fassungsloses Staunen und Bitte um Erklärung des Rätsels meinte er lapidar, dass die übergroße Mehrheit der Belegschaft zwar nicht das Datum ihres Hochzeitstags, sehr wohl aber das ihres Pensionsantritts kennen würde - selbst auf Jahrzehnte im Voraus. Diese pointierte Erklärung fand sich tags darauf in der "Kleinen Zeitung" wieder.

Wenn das so ist - und Österreich wie die Voest wäre - wären tatsächlich alle Liebesmüh und Millioneninvestitionen in die Humanisierung der Arbeitswelt weithin vergeblich; und nur noch massivste finanzielle Prämienanreize bzw. Sanktionen denkbar, das Anwachsen der Frühverrentung und des Pensionsdefizits einzubremsen.

(Quelle: Bernd Marin, DER STANDARD, Print-Ausgabe, 28.5.2011)

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