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Höhere Sozialversicherung für Jobs mit Krankheitsrisiko

UNGENUTZTES POTENZIAL AM ARBEITSMARKT

Wien - Als Maßnahme gegen die niedrige Erwerbsquote von älteren Menschen schlägt das Wirtschaftsforschungsinstitut (Wifo) ein Bonus-Malus-System für die Sozialversicherung vor. Betriebe, deren Mitarbeiter überproportional häufig invalid werden, müssten demnäch höhere Prämien für Unfall-, Arbeitslosen- oder Pensionsversicherung zahlen. Auch die direkte Kostenübernahme von Sozialversicherungsleistungen sei denkbar, schreiben die Wirtschaftsforscher in einer dem Standard vorliegenden aktuellen Studie über "Soziale Sicherungssysteme und Arbeitsmarktperformance in der EU".

Ein ähnliches Modell gibt es in den Niederlanden. In Form von erfahrungsabhängigen Prämien müssen dort Arbeitgeber seit 1998 die Kosten der ersten fünf Jahre der Invaliditätspension ihrer Mitarbeiter übernehmen. Der Zustrom zu dieser Pensionsform konnte dadurch reduziert werden, diesen Effekt erhoffen die Forscher auch für Österreich.

Teil der Studie ist auch eine Bewertung der Arbeitslosenzahlen: Offiziell liegt Österreich gut, schaut man auch auf jene Menschen, die bereits in Pension sind oder wegen Betreuungspflichten keiner Arbeit nachgehen, relativiert sich das. Die Gruppe jener, die gerne arbeiten würde, aber nicht aktiv sucht, ist in Österreich am größten. Als Gründe werden Strukturprobleme im Sozialsystem ausgemacht.

An jedem Monatsersten werden die neuen Arbeitslosenzahlen präsentiert. Sie steigen zwar seit Ende 2008, im EU-Vergleich liegt Österreich mit einer Quote von 5,3 Prozent aber auf dem zweitbesten Platz. Arbeitslos ist demnach, wer einen Job sucht und ihn innerhalb von zwei Wochen antreten kann. Für die Beurteilung der tatsächlichen Arbeitsmarktlage liefern diese Zahlen aber nur einen eingeschränkten Blick, erklärt Ulrike Huemer vom Wirtschaftsforschungsinstitut (Wifo) im Standard-Gespräch.

Nicht berücksichtigt ist beispielsweise, wer vorzeitig in die Pension geschickt wurde oder wegen nicht vorhandener Kinderbetreuungsmöglichkeiten keinenJob findet. Im Auftrag des AMS hat das Wifo daher die Gruppe der Nichterwerbstätigen untersucht. Das zentrale Ergebnis: Der Anteil jener Menschen, die gerne arbeiten würden, aber nicht aktiv suchen, ist in Österreich im Vergleich zu acht anderen untersuchten Ländern am höchsten.

26,2 Prozent der Nichterwerbstätigen fallen in diese Kategorie. In der Gruppe der 25- bis 49-Jährigen gaben sogar 42,6 Prozent der Nichterwerbspersonen an, gerade keinen Job zu suchen. Gleichzeitig ist die Gruppe jener, die gar nicht arbeiten will, in Österreich niedriger als in den anderen Ländern.

Risikoaufschlag

Ein Grund für die hohe Inaktivität der Arbeitswilligen ist der große Anteil von Saisonbeschäftigten. Diese geben zwar an, eine Arbeit zu suchen, haben aber oft bereits eine Wiedereinstellungszusage und suchen daher nicht wirklich, erklärt Huemer.

Allerdings gibt es auch große strukturelle Defizite:Einmal mehr wird das niedrige Pensionsantrittsalter als Problem ausgemacht. 8,6 Prozent der Nichterwerbstätigen sind in Österreich Rentner, der Durchschnitt der anderen Länder liegt bei nur 5,5 Prozent.

Die Wifo-Studie kommt daher zum Schluss, dass es in Österreich ein "großes ungenütztes Erwerbspotenzial" gibt, das durch gezielte Reintegrationsmaßnahmen wieder für den Arbeitsmarkt gewonnen werden kann. Die Wirtschaftsforscher haben auch eine Reihe von Vorschlägen dazu ausgearbeitet.

Bonus-Malus: Neben der allgemeinen Forderung nach einer Anhebung des Pensionsantrittsalters und dem Ausbau von Rehabilitationsprogrammen findet sich auch der Vorschlag nach einer Bonus-Malus-Regelung für die Sozialversicherung.

Betriebe, deren Mitarbeiter statistisch gesehen häufiger invalid werden, müssten demnach höhere Beiträge für die Unfall-, Arbeitslosen- oder Pensionsversicherung zahlen. Auch die direkte Übernahme von Kosten der Sozialversicherung sei denkbar.

In Finnland und den Niederlanden werde dieses System bereits erfolgreich praktiziert, sagt Huemer. Die Folge: Die Firmen würden mehr in die Sicherheit der Arbeitsplätze investieren, der Zustrom in die Invaliditätspension sei zurück gegangen.

Fortbildung: Handlungsbedarf sieht man auch im Bereich Weiterbildung. Die Bildungskarenz werde in Krisenzeiten zwar verstärkt in Anspruch genommen. Daneben könnte aber ein Teilzeitbildungskarenzmodell zum Nachholen von Bildungsabschlüssen eingeführt werden, heißt es in der Studie.

Betreuung: Frauen sind überdurchschnittlich oft nicht erwerbstätig. 47,8 Prozent der erwerbsinaktiven Frauen führen Betreuungspflichten ins Treffen. Zum Vergleich:In Dänemark liegt dieser Wert bei 8,1 Prozent. Huemer kann sich daher die Abschaffung der langen Kindergeld-Variante vorstellen. Mit dem eingesparten Geld könnten Kinderbetreuungsplätze finanziert werden. Aber auch der Ausbau von Pflegeplätzen und das Streichen des Alleinverdienerabsetzbetrages wird vorgeschlagen. Letzterer sei mit dem Leitbild des Doppelverdienermodells nicht vereinbar.

Freibetrag: In den Bereich der Mindestsicherung spielt der Vorschlag nach einem Einkommensfreibetrag für Wiedereinsteiger. Wer einen Job findet, würde demnach nicht sofort den Anspruch auf Sozialhilfe oder Mindestsicherung verlieren. Für wenige Wochen wäre ein Parallelbezug möglich, was den Anreiz zur Jobaufnahme fördere, erklärt Huemer.

Wechselspiel Arbeitsmarkt und Sozialsystem
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Quelle: DER STANDARD, vom 17.3.2010

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