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Einfache Umstellung auf Unisex funktioniert nicht

EuGH-Urteil sei wie "Bypass-Operation", die speziell Lebensversicherungen für alle teurer macht

Wien - Lebensversicherungen werden durch Unisex-Tarife, also gleiche Prämien für Frauen und Männer, teurer: Um dem Äquivalenzprinzip zu entsprechen, müssten bei gleichen Leistungen die Prämien steigen, sagte der Versicherungsmathematiker und Geschäftsführer des Beratungsunternehmens arithmetica, Christoph Krischanitz, am Dienstag. Auf dem Prüfstand stehe damit auch das Pensionssystem, ein Pflichtversicherung könnte die Probleme lösen.

Aus für unterschiedliche Tarife nach Geschlecht

Der Europäische Gerichtshof (EuGH) hat wie berichtet Anfang März eine Differenzierung von Versicherungsprämien aufgrund des Geschlechts untersagt und entschieden, dass ab 21. Dezember 2012 gleiche Versicherungstarife für Männer und Frauen gelten müssen. Die Versicherungswirtschaft in Österreich sieht nun die EU-Kommission am Zug, die für entsprechende Richtlinienänderungen zuständig ist. Derzeit zahlen Frauen in der Lebensversicherung für Renten- und Erlebensprodukte aufgrund der längeren Lebenserwartung mehr als Männer. Bei reinen Ablebensversicherungen ist es umgekehrt. Weniger zahlen Frauen tendenziell auch in der Autoversicherung, sie fahren meist kleinere Autos und vorsichtiger.

Eine zentrale Rolle spiele Gender aber nur in der Lebensversicherung, so Krischanitz. Der Unterschied zwischen den Prämien für Männer und für Frauen betrage in Österreich 10 Prozent (laufende Prämie) bis 20 Prozent (Einmalerläge). Von einem eventuellen Nachfragerückgang aufgrund der dann insgesamt höheren Prämien betroffen sei auch das Pensionssystem über die dritte, private, Säule der Altersvorsorge. Markteffekte könnten nur durch eine Pflichtversicherung verhindert werden.

Selektionseffekte nur durch Pflichtversicherung zu verhindern

Als mögliche Konseqenzen für den Markt nannte Krischanitz Selektionseffekte, also die Stärkung von begünstigen Gruppen mit zu billigen Prämien und einer Schwächung der benachteiligten KundInnen (zu teure Prämien). Damit werde die langfristige Finanzierbarkeit der Versicherungsverpflichtung gefährdet. In Folge komme es zu Preiserhöhungen oder dass gewisse Personengruppen nicht mehr versichert seien. Durch die Prämienerhöhungen dürfte sich der Anteil der zuvor begünstigten Gruppe reduzieren, dies könne zu weiteren Finanzierungsproblemen und damit neuerlichen Prämienerhöhungen führen. Das einzige, was helfe, Selektionseffekte zu verhindern, sei eine Pflichtversicherung, so Krischanitz der auch Chef der Aktuarvereinigung Österreichs ist. Dadurch könnte das Geschlechterverhältnis kontrolliert, die Marktgesetze ausgehebelt werden.

Positive Aspekte kann Krischanitz dem EuGH-Urteil nicht abgewinnen. Das bisherige System habe gut funktioniert. "Das ist wie eine Bypass-Operation - der ursprüngliche Weg geht nicht mehr."

Ungleichheiten im Sicherheitsniveau

Mit dem EuGH-Urteil würden die Grundprinzipien der Lebensversicherung ausgehebelt: Das Wichtigste sei das Äquivalenzprinzip, das sowohl für Kollektive als auch für Individuen funktioniere. Problematisch sei dabei unter anderem unterschiedliche Einzahlung- und Auszahlungsströme oder eine Änderung des Kollektiv. Ein Abgehen vom Äquivalenzprinzip bringe bei Unisex-Tarifen automatisch Ungleichheiten im Sicherheitsniveau. Möglich seien auch eine Differenzierung durch die Gewinnbeteiligung - ein Teil der Verträge bringe dann Gewinn.

"Versicherbarkeit" neu definieren

Für die Versicherungen funktioniere eine einfache Umstellung auf Unisex-Tafeln nicht. Neben Prämienerhöhungen konnten sich noch auf unternehmensspezifische Datenbasen umstellen, was mit einem Qualitätsverlust einhergehen oder die "Versicherbarkeit" neu definieren, also Personengruppen ausschließen.

Weitere Grundlagen der Versicherungswirtschaft, die durch das EuGH-Urteil ausgehebelt würden, seien das Prinzip der verursachungsgerechten Gewinnverteilung und für die Versicherbarkeit, dass das Risiko einschätzbar sein müsse sowie das Gesetz der großen Zahl. Versicherbare Ereignisse müssten zufällig, schätzbar, zahlreich und gleichartig sein.

Zudem stehe das Urteil nicht in Einklang mit den geplanten neuen Eigenkapitalregeln (Slovency II), die für alle Versicherungsnehmer einen einheitlichen Schutz bringen sollen, so der Chef des zur Vienna Insurance Group (VIG) gehörenden Beratungsfirma. Unisex-Tarife könnten auch unterschiedliche Kapitalanforderungen für männer- bzw. frauendominierte Bestände bringen.

Quelle: diestandard.at, 15. März 2011

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