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"Die Unisex-Tarife sind eine aufgelegte Blödheit"

Den Versicherungen stoßen die von der EU geplanten Unisex-Tarife sauer auf. Warum sich die Branche dagegen wehrt, erklärt Allianz-Vorstandsmitglied Manfred Baumgartl

STANDARD: Auf die Versicherungen könnten 2012 die Unisex-Tarife zukommen. Die Branche wehrt sich.

Baumgartl: Ob diese Tarife kommen, steht für mich derzeit fifty-fifty. Für mich sind die Tarife eine aufgelegte Blödheit, denn wir haben kalkulatorisch ganz klare Unterscheidungskriterien. Man kann lange darüber diskutieren, was mehr diskriminiert: eine richtige Rechnung oder eine zwangsweise herbeigeredete Zusammenführung von zwei Risikogemeinschaften, die sich unterschiedlich verhalten. Das kalkulierbare Risiko wird den Versicherungen damit genommen.

STANDARD: Die EU drängt aber auf die Umstellung ...

Baumgartl: Die gerechtere Methode ist, wenn man geschlechtsspezifisch tarifieren kann. Würde man Unisex nehmen, kommt nämlich ein neues Risiko hinzu. Ein Beispiel aus der Praxis zum besseren Verständnis: Wir kalkulieren für die Frauen und wissen, für die kostet ein Produkt 75 Euro, für Männer 100 Euro. Wenn jetzt ein Kunde kommt, ist es mir egal, ob das ein Mann oder eine Frau ist. Mit Unisex-Tarifen haben wir einen Preis dazwischen, sagen wir 90 Euro. Plötzlich ist es mir nicht mehr egal, ob es um einen Mann oder eine Frau geht. Kommt ein Mann, weiß ich, der kostet 100 und ich kann aber nur 90 verlangen. Es wird damit das Risiko, wie viel man von welchem Geschlecht hat, aufkommen. Dann stellt sich auch die Frage, ob sich die Zusammensetzung der Versicherungsnehmer dadurch ändert.

STANDARD: Es gibt ja statistische Berechnungen, etwa dass Frauen weniger Autounfälle haben, was sich in niedrigeren Tarifen widerspiegelt. In welchen Bereichen erwarten Sie bei den Unisex-Tarifen denn die größten Ungleichheiten?

Baumgartl: Das ist sicher bei den Themen Unfall, Leben und Krankheit gegeben - also bei den Personenversicherungen, wo die Leistungen direkt mit dem Unfallverhalten oder der Lebenserwartung zusammenhängen. Ein Risiko ist allerdings schon seit längerem draußen und zwar jenes, das aus Schwangerschaften resultiert. Das war von der Ausnahme 2007 nicht betroffen. Damals wurde gesagt, man kann geschlechtsspezifisch kalkulieren, aber das Risiko von Geburten muss gleich verteilt sein.

STANDARD: Je nach Versicherungskategorie gibt es bei einer Angleichung der Tarife also immer ein Geschlecht, das draufzahlt.

Baumgartl: Genau. Und die Frage wird dann sein, ob eine Versicherung, die etwa für Männer billiger wird, hauptsächlich Männer abschließen oder weniger Frauen, weil es für die teurer wird. Wer jetzt noch eine Versicherung abschließt, kann sich den Preisvorteil sichern.

STANDARD: Sind Unisex-Tarife in anderen Länder gang und gäbe?

Baumgartl: Nein. Unisex-Tarife in zumindest einer Sparte gibt es in Belgien, Bulgarien, Zypern, Tschechien, Estland, Irland, Frankreich, Lettland, Litauen, den Niederlanden, Norwegen und Slowenien. In der Mehrheit der Länder, vor allem in den großen EU-Ländern Deutschland und Italien, gibt es sie nicht.

STANDARD:Themenwechsel: Die Versicherungen kalkulieren ja mit einem Rechnungszins von zwei Prozent. Diese zu erwirtschaften ist im Niedrigzinsniveau nicht leicht.

Baumgartl: Das geht schon. Der durchschnittliche Portfolio-Zins von einem Lebensversicherer in Österreich liegt bei drei Prozent.

STANDARD: Private Vorsorge wird immer wichtiger. Wie ist das bei jungen Menschen mit 18, 20 Jahren. Interessieren die sich schon für Versicherungslösungen?

Baumgartl: Ja. Die Erkenntnis für die private Vorsorge ist da. Wir haben mittlerweile relativ niedrige Eintrittsalter. In den vergangenen Jahren ist das im Schnitt gegen 30 gesunken und geht auch schon darunter. Man merkt, dass früher mit der Vorsorge begonnen wird. Es gibt auch genügend Lösungen, dass man mit einem Einstiegsgehalt, das vielleicht noch niedrig ist, starten kann. (Die Fragen stellte Bettina Pfluger, DER STANDARD, Print, 19.5.2011)

Manfred Baumgartl (59) ist seit 1993 Vorstandsmitglied der Allianz und seit 2001 Vorsitzender der Sektion Lebensversicherung im Verband der Versicherungsunternehmen Österreichs.

Quelle: derstandard.at, 18.5.2010

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